Im zahnärztlichen Notdienst am Wochenende kommt eine 53-jährige Frau mit Zahnschmerzen in meine Praxis. Sie gibt pochende Schmerzen im Bereich 37, 36 an. Wegen des Kontakts zu einem Corona-Erkrankten sei sie in Quarantäne gewesen und habe deshalb ihren Hauszahnarzt nicht aufsuchen können. Sie habe ein Ibuprofen-800-Präparat eingenommen, das allerdings nicht gewirkt hätte. Ihr Hauszahnarzt habe ihr, so die Patientin, daraufhin ein Amoxicillin-Präparat verschrieben, doch auch das hätte zu keiner Besserung geführt, genausowenig wie ein nachfolgend verschriebenes Clindamycin-Präparat.
In der klinischen Untersuchung zeigt sich, dass die Zähne 37, 36 beide mit äußerst großflächigen insuffizienten Kunststofffüllungen versorgt sind. Der Zahn 36 hat lingual eine dünne Schmelzwand, die einige Millimeter über das Niveau der Kunststofffüllung hinausragt. Auf einen Perkussionstest reagieren beide Molaren stark. Von einer apikalen Druckdolenz ist allerdings nur der Zahn 36 leicht betroffen. Bei einem Kältetest, der zweimal durchgeführt wird, reagieren beide Zähne zwar etwas verzögert aber deutlich. Eine heftige Reaktion oder ein Nachhall können nicht beobachtet werden.
Auf dem angefertigten OPG ergeben sich einige Unsicherheiten. Der Desmodontalspalt an beiden Wurzelspitzen des 6ers scheint verbreitert. Der 6er hat außerdem im mesialen Bereich eine diffuse Zone einer erhöhten Transluzenz. Dazu kommt, dass der Wurzel des schrägliegend retinierten 8ers mesial eine verdichtete Zone anhaftet, der sich wiederum eine transluzentere Zone anschließt, die einige Millimeter breit ist. Der 7er hingegen zeigt keine Besonderheiten.
Die Patientin weist von sich aus darauf hin, dass sie nachts sehr stark auf den Zähnen knirschen und oft mit Verspannungen aufwachen würde. Auf meine Frage hin räumt die Patientin ein, dass sie die Coronakrise sehr stark belaste. Bei der Überprüfung der Okklusion sind sehr starke Fehlkontakte sichbar. Der auffälligste liegt auf der steilen lingualen Schmelzwand des 6ers, wo sich eine extrem tiefe Verzahnung ergibt. Außerdem hat der etwas elongierte Zahn 27 eine klar erkennbare Interferenz mit dem distalen Bereich des Zahns 36. Die Palpation des Musculus pterygoideus lateralis rechts ist sehr schmerzhaft, links aber ist sie von einer so extremen Schmerzhaftigkeit, dass die Patientin geradezu an die Decke geht.
Mit der Myalgie des Musculus pterygoideus lateralis ist erwiesen, dass eine CMD vorliegt. Aber liegt sie alleine vor oder besteht gleichzeitig eine Pulpitis des Zahns 36? Der Röntgenbefund deutet eher auf eine Pulpitis hin, der Kältetest eher nicht. Ich schlage der Patientin vor, die bestehenden Fehlkontakte einzuschleifen und wenn möglich nachts einen Schnuller zu tragen, um einen schmerzhaften Zahnkontakt zu vermeiden. Außerdem soll sie die Kaumuskeln mit den Fingern massieren und für gezielt für Entspannung sorgen, zum Beispiel mit Spazierengehen. Ich bitte die Patientin, sich nach fünf Tagen telefonisch zu melden und zu berichten, ob sie schmerzfrei sei.
Beim Einschleifen erweisen sich die Zähne als so empfindlich, dass mit dem kleinen Speichelzieher abgesaugt werden muss. Der Aufbiss schmerzt so sehr, dass das Blaupapier schlecht zeichnet. Als das Einschleifen abgeschlossen ist, gibt die Patientin an, dass sich der Biss deutlich angenehmer anfühle.
Die Patientin ruft tatsächlich einige Tage später an. Sie sei zwei Tage später zu ihrem Hauszahnarzt gegangen, der eine Wurzelbehandlung am Zahn 36 durchgeführt habe. Die Schmerzen seien seitdem weg. Sie bedanke sich trotzdem sehr für das Einschleifen, da endlich die störenden Fehlkontakte nicht mehr bestehen würden.
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