CMD Konzept
Praxisgerechte Diagnose und Therapie
der Craniomandibulären Dysfunktion
Gibt es eine CMD ohne Bruxismus?
Die genaue Antwort lautet: Ja, aber nur in ganz bestimmten Ausnahmefällen. Eine solche Ausnahme liegt vor, wenn ein Trauma zu funktionellen Beschwerden führt, wie eine Weisheitszahnentfernung, ein Unfall oder das Schlafen auf dem Bauch. Von sehr viel größerer Relevanz in der Praxis sind allerdings Beschwerden aufgrund einer Fehlfunktion, und diese sind ohne Bruxismus definitiv nicht vorstellbar.
Wenn über den Zusammenhang zwischen einer CMD und Bruxismus Unklarheit herrscht, dann nur deswegen, weil die Wissenschaft ihre Hausaufgaben nicht gemacht hat. So ist nach offizieller Lesart Bruxismus nur ein "Risikofaktor" für das Entstehen einer CMD, was impliziert, dass eine CMD auch ohne Bruxismus entstehen könnte. Außerdem gilt eine Beteiligung der Okkusion am Entstehen einer CMD, von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen, als nicht erwiesen. Daraus ziehen einzelne Autoren mutig den Schluss, dass es ihn tatsächlich nicht gibt. Derweil zeigen neuere Studien, in denen das Muster eines Bruxismus und die Folgen für Kiefergelenk, Kaumuskulatur und Zähne untersucht wurden, dass sich ein solcher Zusammenhang geradezu aufdrängt.
Alle Arten von Funktionsstörungen außer den beschriebenen Ausnahmen sind auf eine zu große, vor allem aber anhaltende Anspannung der Kaumuskulatur zurückzuführen. Physiotherapeuten können bestätigen, welche Probleme eine Dauerspannung der Muskulatur auslösen kann. Ein Beispiel, mit dem man vielleicht schon selber Bekanntschaft gemacht hat, ist die Verhärtung der Wadenmuskulatur durch eine sitzende Tätigkeit oder durch eine sportliche Aktivität. Der Dauerzug der Muskeln führt zu Beschwerden in der Achillessehne oder ihrem Ansatz. Diese Strukturen sind zwar selbst bei starker Krafteinwirkung äußerst belastbar, tolerieren aber dennoch keine Dauerspannung. Genauso verhält es sich mit der Kaumuskulatur. Die Beschwerden treten im schwächsten Glied der Kette auf: Entweder in den Kaumuskeln selber, im Kiefergelenk oder in den Parodontien. Eine funktionell bedingte parodontale Überlastung ist im Begriff der CMD mit enthalten und stellt nicht selten die erste Manifestation einer funktionellen Störung dar.
Nun kann ein Muskel nur dann unter Spannung stehen, wenn ein entsprechender Widerstand vorhanden ist. Das mag in einzelnen Fällen eine antagonistisch wirkende Muskelkraft sein. In den allermeisten Fällen wird dieser Widerstand aber ein Zahnkontakt sein, wobei die Muskelarbeit dynamisch sein kann wie beim Knirschen oder statisch wie beim Pressen. Gleichwohl ist es in beiden Fällen ein Bruxismus, der aus der erhöhten Muskelspannung resultiert, und dieser ist ohne Okklusion nicht denkbar. Vergleicht man Bruxismus mit sportlichem Training, so ist ihnen gemeinsam, dass es eine Überbeanspruchung von Muskeln, Sehnen und Gelenken geben kann. Beim Sport ist möglicherweise ein schlechter Trainingszustand oder ein zu hoher Trainingsumfang daran schuld. Doch genauso kann auch eine schlechte Ausrüstung oder Technik zu einer unphysiologischen Belastung und damit zu Problemen führen. Das Pendant hierzu ist beim Bruxismus die Okklusion. Sie bestimmt maßgeblich, wie Kaumuskulatur, Kiefergelenke und andere Strukturen beansprucht werden.
Daraus lassen sich bestimmte Schlüsse ziehen. So dürfte es selbst bei schweren Bisslagefehlern keine CMD geben, wenn der Betreffende nicht bruxiert. Tatsächlich wird das durch eine Alltagsbeobachtung bestätigt. Viele Patienten haben eine scheinbar sehr ungünstige Okklusion wie eine Progenie oder einen offenen Biss und dennoch keinerlei Probleme. Eine weitere Schlussfolgerung ist, dass es ohne Kaukraft keine Okklusionsstörungen geben sollte. Auch das kann an Tumorpatienten mit zerstörter Kaumuskulatur beobachtet werden: Selbst ausgeprägte Fehlkontakte werden nicht im geringsten als störend wahrgenommen.
Der Zusammenhang zwischen Bruxismus, Okklusion und funktionellen Beschwerden ist für die Therapeuten verschiedenster Fachrichtungen eine Selbstverständlichkeit und die Grundlage ihres therapeutischen Handelns. Das gilt für Zahnärzte, Physiotherapeuten, Osteopathen und andere. Die meisten wissenschaftlichen Veröffentlichungen tragen leider zum Verständnis dieses Zusammenhangs nichts bei.