CMD Konzept
Praxisgerechte Diagnose und Therapie
der Craniomandibulären Dysfunktion
Wie eine effektive Funktionsuntersuchung aussieht - oder auch nicht
Funktionsstörungen sind ein Alltagsproblem, das viele Patienten betrifft. Somit hilft es wenig, wenn nur ein paar Spezialisten mit aufwändigen und kostspieligen Untersuchungen eine Diagnose stellen können. In der Regel wird ein Patient mit seinem Problem den Zahnarzt aufsuchen, doch welche Mittel stehen diesem zur Verfügung? Eine einfache und schnell durchzuführende Funktionsuntersuchung, mit der dennoch ein funktionelles Problem sicher identifiziert werden kann, ist gefragt.
Damit sind schon zwei wesentliche Punkte angesprochen: Eine Funktionsuntersuchung soll wenig Zeit in Anspruch nehmen und aussagekräftig sein. Der Zeitfaktor ist wichtig: Entweder kommen die Patienten als Schmerzfälle in die Praxis, oder sie weisen bei einer Routineuntersuchung darauf hin, dass sie Beschwerden haben. In jedem Fall wird der Behandler kaum Zeit für eine aufwändige Untersuchung und das Ausfüllen eines umfangreichen Befundbogens haben.
Die Frage, wie aussagekräftig eine Funktionsuntersuchung ist, stellt sich etwas komplizierter dar, denn sie umfasst mehrere Aspekte. So kann es sein, dass eine bestimmte Form der Untersuchung zwar sehr viele detaillierte Informationen zu den anatomischen Strukturen liefert, die den Schmerz auslösen oder geschädigt sind, aber keinerlei Informationen über die Ursachen. Strebt der Behandler eine kausale Therapie an, die von allen Therapien die effektivste sein dürfte, wäre das aber eine Grundvoraussetzung.
Ein weiterer, ausgesprochen wichtiger Aspekt ist die Frage, inwieweit eine Untersuchung funktionelle Beschwerden von einem durch eine Pulpitis, Ostitis oder Neuralgie ausgelösten Schmerz differenzieren kann. Bei einem Schmerz im Kiefergelenk mag die Differentialdiagnose noch relativ einfach sein, bei einem muskulären oder einem parodontalen Überlastungsschmerz hingegen kann sie den Behandler vor größte Schwierigkeiten stellen. Dass ein neuralgisch und ein funktionell bedingter Schmerz häufig verwechselt werden, wurde in einer Studie nachgewiesen. Die klinische Erfahrung zeigt, dass viele Zähne mit einer funktionellen Überlastung unnötigerweise wurzelbehandelt werden.
Betrachten wir die zur Verfügung stehenden Untersuchungen etwas genauer. Der Screening-Test nach Ahlers und Jakstat ist in Deutschland sehr verbreitet. Für diesen Test werden sechs Kriterien herangezogen: Drei davon sind die Symmetrie und die Weite der Mundöffnung sowie das Erfassen von Gelenkgeräuschen, während die Finger das Kiefergelenk palpieren. Als viertes kommen okklusale Geräusche dazu, die in einem Klappertest ermittelt werden, wobei ein mehrzeitiges Kontaktgeräusch als positiver Befund gewertet wird. Das fünfte Kriterium ist eine schmerzhafte Muskelpalpation, wobei die Musculi masseter, temporalis und digastricus venter posterior untersucht werden. Das sechste Kritierium bezieht sich auf eine sogenannte "traumatische Exzentrik". Damit gemeint ist ein übermäßiger Substanzverlust durch Attrition und Abrasion und das Vorhandensein von nicht alterstypischen Gleithindernissen im hinteren Seitenzahnbereich. Sind zwei oder mehr Befunde positiv, gilt eine CMD als wahrscheinlich.
Für eine profunde klinische Funktionsanalyse gibt es verschiedene Systeme, die allerdings alle eine entsprechende Ausbildung und viel Übung am Patienten voraussetzen. Die manuellen Strukturanalysen nach Bumann und nach Sabbagh sind großartige Untersuchungen, mit denen man sehr genau die geschädigten Strukturen bestimmen kann. International sind die DC/TMD (Diagnostic Criteria for Temporomandibular Disorders) üblich, die sowohl in der Forschung als auch von Physiotherapeuten eingesetzt werden. Die physischen Untersuchungen werden als "Achse I" bezeichnet, zusätzlich werden als "Achse II" psychosoziale Faktoren durch Fragebögen erfasst.
Von den DC/TMD gibt es eine sogenannte Kurzform. Diese geht auf eine Studie zurück, in der gezeigt werden konnte, dass man die Untersuchung auf eine einzelne Frage reduzieren kann: "Haben Sie Schmerzen in der rechten Gesichtshälfte, in der linken oder in beiden?" Patienten mit einer Trigeminusneuralgie müssen vorab ausgeschlossen werden.
Das ist jedoch genau das Problem: Wenn man eine Neuralgie vorab ausschließen muss, ist ein System zur Differentialdiagnose von anderen Schmerzursachen gänzlich ungeeignet. Gerade sie ist aber eine der wichtigsten Fragestellungen des praktisch tätigen Zahnarztes. Hinzu kommt, dass sowohl der Screeningtest nach Ahlers und Jakstat als auch die Kurzform der DC/TMD nur auf die Fragestellung abzielen, ob eine CMD vorliegt, nicht aber, ob Kiefergelenk, Kaumuskulator oder Parodontien betroffen sind. Es interessiert auch nicht, wo die Ursachen der funktionellen Störung liegen könnten, was leider auch für die manuellen Strukturanalysen gilt, so detailliert und interessant deren Ergebnisse auch sein mögen.
Dabei ist der Screening-Test nicht einmal für die Untersuchung von Schmerzpatienten gedacht, sondern nur als Ergänzung einer zahnärztlichen Routineuntersuchung, um eine versteckte CMD zu erkennen. Er verzichtet er auf eine Palpation des Musculus pterygoideus, dem wohl wichtigsten Indikator für eine CMD überhaupt. Die Okklusion hingegen wird mit zwei Kriterien erfasst, nämlich mit den Okklusionsgeräuschen und der "traumatischen Exzentrik". Allerdings liefert der Klappertest kaum reproduzierbare Ergebnisse. Wer es nicht glaubt, kann es an sich selbst ausprobieren. "Traumatische Exzentrik" und "nicht alterstypische Gleithindernisse" sind unklare und schwer verständliche Begriffe. Die visuelle Beurteilung von dorsal gelegenen Fehlkontakten überfordert selbst erfahrene Praktiker. Der Ehrgeiz, auf Hilfsmittel wie Okklusionspapier zu verzichten, wird leider mit dem Verzicht auf wertvolle diagnostische Informationen bezahlt.
An diesen Untersuchungen offenbart sich die ganze Crux der Funktionsdiagnostik. Sie tragen nichts zur Differentialdiagnose von einer Neuralgie, Pulpitis oder Ostitis bei. Sie sind entweder sehr aufwändig oder wenig aussagekräftig. Als Ergebnis zählt nur das Vorhandensein oder Nichtvorhandensein einer CMD, nicht aber die zugrunde liegenden Ursachen. Man sieht daran aber auch, wie weit sich Wissenschaft und am Patienten praktizierte Zahnheilkunde voneinander entfernt haben: Hier die mit Blick auf die Ergebnisstatistik gewählten Befundkriterien, da der praktisch tätige Zahnarzt, der vergeblich eine einfache, sichere und ursachenbezogene Diagnostik sucht. Die Methodik der Wissenschaft erfüllt die Standards und ist nicht zu widerlegen - doch leider ist sie so gut wie wertlos.
Wie also sieht eine praktikable Form der Funktionsuntersuchung aus? Sie bezieht auf jeden Fall die Palpation des Musculus pterygoideus ein. Sie beinhaltet eine geeignete Untersuchung der Okklusion. Und sie wird ergänzt mit anamnestisch erhobenen Informationen, die zur Ursachenfindung einer funktionellen Störung beitragen. Dabei beträgt der Zeitaufwand in den meisten Fällen höchstens zehn Minuten. Eine solche Untersuchung gibt es. Und sie bietet für die Mehrzahl der Patienten einen weitaus größeren Nutzen als alle bisher beschriebenen Funktionsuntersuchungen.