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Mythen und Wahrheiten über das Einschleifen

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Der Nutzen des Einschleifens wird kontrovers diskutiert. Diejenigen, die Einschleifen im Mund ablehnen, bedienen sich der Narrative eines übergroßen Substanzverlustes oder einer damit einhergehenden Bisslageveränderung. Andere wiederum glauben, dass immer eine Modellanalyse im Artikulator vorausgehen sollte. Doch es gibt viele gute Gründe, um auf eine direkte Einschleiftherapie zu setzen, zumal sie in vielen Fällen deutliche Vorteile gegenüber einer Schienentherapie bietet. 

Was nicht alles über das Einschleifen behauptet wird. Ein Unbehagen darüber, dass zu viel weggeschliffen werden könnte und dass der Vorgang unumkehrbar ist, wird auch von Patienten geäußert und ist ja durchaus nachvollziehbar. Schwerwiegender ist, wie es in wissenschaftlichen Veröffentlichungen beurteilt wird. Gerade hier findet man Behauptungen, die schlichtweg falsch und manchmal grotesk sind. Eine davon ist, dass Einschleifen prinzipiell das Ziel verfolgen würde, den Biss von einer ungünstigen habituellen in eine vermeintlich günstigere zentrische Lage zu überführen, um die Zahnbögen zu harmonisieren. Eine weitere, dass es häufig vorbeugend durchgeführt würde. Und noch eine Behauptung ist, dass Einschleifen schon deswegen abzulehnen ist, weil die Begriffe "Interferenz" und "Fehlkontakt" unscharf definiert seien. Ein anderer Autor sieht Balancekontakte weniger als Ursache einer CMD, sondern als Folge. Weniger an den Haaren herbeigezogen, aber genauso falsch ist die Aussage, dass Einschleifen keinen Erfolg bei der Behandlung einer CMD bringen würde. Geradezu zahm wirkt daneben der Standpunkt, dass Einschleifen nur nach einer vorangehenden instrumentellen Funktionsanalyse und eingebunden in ein interdisziplinäres Behandlungskonzept erfolgen sollte.

In dieses Wirrwarr an Aussagen soll erst einmal etwas Ordnung gebracht werden. Warum eine angeblich unscharfe Definition eine bestimmte Therapie ausschließen und wie durch eine funktionelle Störung Balancen entstehen sollen, bleibt ein streng gehütetes Geheimnis der betreffenden Autoren. Eher diskussionswürdig ist da schon die Unterstellung, dass Einschleifen vorbeugend und mit dem Ziel einer Bisslageveränderung erfolgen würde. In den USA scheint es nämlich tatsächlich eine Gruppierung von Zahnärzten zu geben, die das genauso praktizieren, oftmals sogar gegen den Willen des Patienten. Andere, fachlich versierte Zahnärzte haben in der Folge alle Hände voll zu tun, um den entstandenen Schaden wieder zu beheben und die betreffenden Patienten von ihren gewaltigen Beschwerden zu befreien. Möglicherweise war für die Autoren bei der Beurteilung des Einschleifens diese Situation ausschlaggebend.

 

Doch genausowenig wie man Regen als Umweltproblem darstellen kann, nur weil er immer wieder Überschwemmungen verursacht, lässt sich Einschleifen pauschal als schädlich einstufen. In der Zahnärzteschaft gibt es einen weitgehenden Konsens, dass eine Bisslageveränderung niemals ohne gründliche Vorbereitung, sondern erst nach einer Schienentherapie und einer Modellanalyse durchgeführt werden darf. Dafür spricht allein die Tatsache, dass sie ohne diese Vorbereitung praktisch gar nicht möglich ist, denn der Unterkiefer lässt sich zur Ergebniskontrolle nicht einfach beliebig oft in ein neuromuskuläres Gleichgewicht bringen. Selbst nach einer Modellanalyse ist eine Bisslageänderung eine große Herausforderung, die sehr viel Erfahrung voraussetzt. Es gibt auch Konsens darüber, dass in aller Regel nicht vorbeugend eingeschliffen werden sollte. Die Vielzahl an Patienten, die scheinbar sehr ungünstige Bissverhältnisse aufweisen, aber trotzdem unter keinen Problemen leiden, spricht eine klare Sprache.

Verantwortungsvolles Einschleifen nimmt ausschließlich Störkontakte in den Exkursionsbewegungen in den Fokus, verändert aber niemals die statische Okklusion. Aufgrund der höchst variablen Bewegungen der Kiefergelenke können diese Störkontakte nur im Mund zuverlässig diagnostiziert werden, eine Modellanalyse bringt keinen Vorteil. Der erforderliche Substanzabtrag ist oft überraschend gering, und dennoch ist die klinische Erfolgsquote außerordentlich hoch. Die Patienten geben in der Mehrzahl nach dem Einschleifen an, dass sich der Biss sehr viel glatter, freier oder weniger störend anfühlt. Die Irreversibilität der Maßnahme spielt insoweit eine völlig untergeordnete Rolle.

 

Würde man in Studien auf geeignete Mittel der Okklusionsprüfung zurückgreifen, so könnte man wahrscheinlich die Wirksamkeit von sach- und indikationsgerecht ausgeführtem Einschleifen wissenschaftlich nachweisen. Mit dem starrköpfigen Festhalten an dem Dogma, dass die Okklusion nicht an funktionellen Störungen beteiligt sei, verunsichert man stattdessen die Zahnärzte und nimmt ihnen mit der Einschleiftherapie eine wichtige therapeutische Option aus der Hand. Dabei ist sie oft weniger belastend als eine Aufbissschiene, kann sofort durchgeführt werden und wirkt 24 Stunden am Tag - und nicht nur, wenn der Patient die Schiene trägt.

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