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Über Sinn und Unsinn einer Therapie des Bruxismus

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Vereinzelt wird empfohlen, Patienten über das Vorliegen eines Bruxismus und mögliche schädliche Auswirkungen zu informieren. Was die Therapie des Bruxismus angeht, ist man nicht zimperlich: Die Anwendung von Botulinumtoxin bei Erwachsenen und von Aufbissschienen bei Kindern wird ernsthaft in Betracht gezogen. Doch wer solchen Empfehlungen folgt, hat die Mechanismen des Bruxismus ganz sicher nicht verstanden. 

Wenn über Bruxismus gesprochen wird, wird häufig das Schreckgespenst einer übergroßen Attrition oder der Zerstörung zahnärztlicher Restaurationen an die Wand gemalt. Doch oft findet man bei Patienten deutliche Anzeichen eines Bruxismus wie Schlifffacetten oder eine Masseterhypertrophie, ohne dass auch nur das geringste Problem nachweisbar wäre. Wie lässt sich das erklären?

Nun ist Bruxismus für sich betrachtet erst einmal etwas, dem man mit allergrößter Gelassenheit begegnen kann. Er ist sogar eine sehr effektive Form der Stressverarbeitung, die zu einer verminderten Ausschüttung von Noradrenalin und anderer Neurotransmitter führt und damit stressbedingte Erkrankungen verhindern kann. Das Abreagieren von Stress über die Kaumuskulatur ist ein physiologischer Vorgang, der sogar im Tierreich beobachtet werden kann.

 

Die Patienten mit den deutlich sichtbaren Schlifffacetten und der ausgeprägten Kaumuskulatur sind deswegen beschwerdefrei, weil ihre anatomischen Strukturen wie das Kiefergelenk, die Kaumuskulatur, Sehnen und Parodontien hervorragend angepasst sind. Man kann sie mit gut trainierten Sportlern vergleichen, die problemlos mit großen Belastungen umgehen können. Dementsprechend ist es absolut sinnlos, sie warnend auf ihren Bruxismus hinzuweisen oder ihnen eine vorbeugende Therapie wie eine Aufbissschiene angedeihen zu lassen.

Wenn Patienten aufgrund eines Bruxismus Beschwerden entwickeln, kann man umgekehrt den Schluss ziehen, dass sie untrainiert sind. Sie haben bisher gar nicht bruxiert oder sie bruxieren nur phasenweise, dementsprechend weisen sie keine ausreichende funktionelle Anpassung auf. Aber gerade weil ihre Beschwerden akut sind, kann ihnen am allerleichtesten geholfen werden: In vielen Fällen reichen schon eine entsprechende Aufklärung und eine kleine Einschleifmaßnahme aus, um sie aus ihrer Schmerzfalle zu befreien. Und nicht nur das: Die richtigen Maßnahmen am Anfang des Schmerzgeschehens verhindern ein Aufschaukeln und eine Chronifizierung.

Das Entscheidende bei diesen Patienten ist die Identifizierung der Ursache, denn nur so ist eine Aufklärung möglich. So wird häufig eine Stressbelastung aus dem familiären oder beruflichen Umfeld der Auslöser sein, wie eine neue Arbeitsstelle oder ein Todesfall. Oftmals kann der Stress auf Schmerzen, verbunden mit schlaflosen Nächten, zurückgeführt werden. Doch genauso kann eine allgemeingesundheitliche Störung, die sich auf alle Muskeln auswirkt, die Ursache sein. Dabei muss man wissen, dass von einem erhöhten Muskeltonus, ausgelöst zum Beispiel durch einen Mineralienmangel oder ein Medikament, als erstes die Waden- und die Kaumuskulatur betroffen sind. Daher macht es durchaus Sinn, den Patienten nach Wadenkrämpfen zu fragen. Vielfach steckt auch ein orthopädisches Problem mit Schulter- und Nackenschmerzen dahinter. Wie bereits beschrieben, kann sich ein Bruxismus nur unter Beteiligung der Okklusion zu einer CMD entwickeln, weshalb deren Rolle unbedingt abgeklärt werden sollte. 

Folgt man den offiziellen Empfehlungen und informiert den Patienten über seinen Bruxismus, geht man ein hohes Risiko ein, schlafende Hunde zu wecken. Es kann sein, dass der Mechanismus der Selbstüberprüfung in Gang gesetzt und Angst vor einer ernsten Erkrankung induziert wird. Doch Angst führt zu einer erhöhten Muskelspannung und hat damit das Potential, ein Schmerzgeschehen erst recht anzufachen. Gerade beim Vorliegen einer CMD, die beim Patienten oft ernste Sorgen auslöst, würde der Vergleich mit einem harmlosen Muskelkater, einem Knieschmerz nach einer anstrengenden Bergtour oder dem Schmerz nach dem Aufbiss auf eine gebrannte Mandel sehr viel Positives bewirken. Denn bei funktionellen Störungen ist Aufklärung und Deeskalation ein wesentlicher Teil der Therapie.

Wenn man schon meint, den Patienten über seinen Bruxismus informieren zu müssen, sollte man in der Lage sein, die absolute Harmlosigkeit eines funktionell kompensierten Bruxismus zu vermitteln. Es ist gänzlich falsch, ihn als etwas Pathologisches darzustellen. Darüber hinaus bedarf Bruxismus keiner Therapie mit Ausnahme der Fälle, wo er zu einer CMD oder zu inakzeptablen Folgeproblemen wie einer ästhetischen Beeinträchtigung oder der Zerstörung von Restaurationen führt .

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